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PROVINZGESCHNATTER online (78): Mein erstes Mal


Neulich. Das ist‘s passiert. Da wurde ein Traum wahr, den ich schon tausend Mal geträumt hatte:

Ich bekam den Auftrag, ein Interview zu führen. Ich! Ganz allein!

Mein geschätzter Kollege Charlie wollte sich an diesem Abend dezent hinter seiner Kamera verstecken und mir deshalb die Fragerei überlassen. Mir!

Voller Tatendrang befragte ich meinen widerspenstigen Klapprechner zu Hans-Joachim Liesenfeld. Den sollte ich wenige Stunden später zu einer seiner besonderen Leidenschaften befragen.

Zunächst hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Der Mann sammelte Radios und Fernseher! Meine Güte, was konnte daran schon interessant sein?!

Doch ein Job ist ein Job. Also beschloss ich, meine Technik-Antipathie zu ignorieren und fütterte mein Gehirn mit Informationen über diesen bemerkenswerten Zeitgenossen. Das Internet verriet mir, dass der Herr seit frühester Jugend alles hortete, was der Mensch in den 90 Jahren, seit es Radio & Co. gibt, besessen und wieder weggeworfen hat. Höhepunkt seiner Sammelei war die Jagd nach einem „T1“.

Wieder war ich irritiert: Was konnte so schwierig sein, einen ollen VW-Bus aufzutreiben? Das musste ich Herrn Liesenfeld unbedingt fragen! Ich krixelte also schnell ein paar Fragen auf meinen Zettel. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie frau einen Technikfreak professionell zu seinem großartigen Lebenswerk befragen sollte, begann ich, mich aufs Gespräch zu freuen. Was konnte auch schon passieren?

Also düsten bald in Richtung Heiligenstadt Charlie, seine Kameraausrüstung, ich und mein Lampenfieber.

Das wuchs proportional zur Zeit, die verging, bis wir unser Ziel erreichten.

Doch der anvisierte Ort des Geschehens lag verlassen und verschlossen vor uns. Klingeln und Klopfen half nichts. Offenbar war die Adresse falsch. Langsam wurde die Zeit knapp. Doch Charlies Connections – mittels Eierfön mal eben aktiviert – lüfteten das Geheimnis um den fraglichen Treffpunkt: Wir hetzten atemlos über mittelalterliches Kopfsteinpflaster. Ich auf hohen Hacken und Charlie mit der schweren Kameraausrüstung. Und während ich die Blasen an meinen Füßen zu ignorieren versuchte, kam ich nicht umhin zu bemerken, dass es mitunter nicht einfach ist, als Journalist an eine gute Geschichte zu kommen.

Mit Müh‘ und Not erreichten wir den Tatort, lauschten Festreden und schauten einen Film über Radiogeschichte an. Ich war froh über diesen Aufschub, verschaffte er mir doch die Zeit, die es braucht, nach einem Dauerlauf über fremdes Pflaster wieder zu Atem zu kommen und mein leicht derangiertes Äußeres zu richten. Wir reihten uns ein in die Schlange all derer, die dem Ehrengast huldigten.

131025 Liesenfeld 098Und dann, inmitten historischer Radiotechnik, führte ich mein allererstes Interview. Es war nicht schwer, den netten Mann über sein interessantes Hobby auszuquetschen. Endlich wurde ich meine Frage zum rätselhaften „T1“ los und fand mich in einer Geschichte wieder, die so fesselnd war, dass ich vergaß, mir Notizen zu machen:

Dieser „T1“ war kein VW-Bus, sondern der Ur-Fernseher schlechthin. Er wurde 1946 in Arnstadt als Reparationsleistung für die Sowjetunion in geringer Stückzahl und ausschließlich für Leningrad gebaut. Daher hieß er mit bürgerlichem Namen auch „T1 Leningrad“. Master Liesenfeld suchte lange schon nach einem „T1“ und fand ihn schließlich bei Ebay. Nicht bei „unserem“. Sondern beim russischen. Nicht, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt gewusst habe, dass es mehrere Ebays gibt?!? Aber frau ist lernfähig!

Jedenfalls ersteigerte Liesenfeld die antike Flimmerkiste trotz zahlloser Hürden, mit Hilfe von Freunden, Bekannten und einigem an Schmiergeld. Nach einer abenteuerlichen Reise von Moskau über Leningrad und dank eines polnischen Freundes gelangte der „T1“ schließlich in Liesenfelds Besitz.

Mein erstes Interview war für mich ein großartiges Erlebnis. Für Charlie vielleicht eher ein Grund zum Haare raufen: Vermutlich ist es für ihn jetzt die größere Herausforderung, aus meinem Geschreibsel voller Begeisterung an der Sache am Ende einen Text zu machen, der den Leser so mitreißt, wie seine Entstehungsgeschichte mich.

Bis die Tage,
eure Pauline!

Seit 24. Februar 2012 gibt es “Provinzgeschnatter” in der